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Shu Ha Ri/ 守破離 -- 2. 破/ Brechen


Einführung

Klassischerweise folgt die Lehrmethode in japanischen Kampfkünsten dem Leitsatz Shu Ha Ri.

Shu / 守 - Nachahmen

Ha / 破  - Brechen

Ri / 離 - Loslassen

 

Gemeint ist der Umgang mit einer zu erlernenden Technik. Diese sollte hiernach zunächst möglichst detailgetreu vom Lehrer kopiert werden. Erst nachdem der Schüler durch das "Kopieren" des Bewegungsablaufs eine Vorstellung von der Ausführung erhalten hat, ist es Zeit das zweite Level, das Ha-Level zu trainieren. Dabei soll die erlernte Grundform gebrochen werden und der Schüler außerhalb der bisher bereits gefundenen Komfortzone die Technik ausführen lernen. Hat der Schüler auch dieses Level hinter sich gelassen, so folgt die letzte Stufe, das Ri-Level. Auf diesem Level werden bislang vordefinierte Rahmenbedingungen über Bord geworfen und das Prinzip hinter der Technik trainiert. Es geht hierbei also weniger um eine konkrete Ausführung einzelner isolierter Bewegungen, sondern um die Erreichung des Ziels der trainierten Technik, bei der nur noch das anzuwendende Prinzip beibehalten wird.

Ha/ 破 - Brechen

So wichtig und unabdingbar das Shu-Level auch ist, so soll ein Schüler keinesfalls auf dem Shu-Level stehen bleiben. Die darauffolgende Stufe, das Ha-Level, ist genauso wichtig für die Entwicklung des Schülers. Denn ist man mit den Bewegungsabläufen einer Technik vertraut (sowohl Uke, als auch Tori), so kann und sollte der Schüler die erlernte Bewegungsform aufbrechen und nicht mehr nur aus der bereits erlernten Ausgangslage, mit den bereits genutzten Waffen oder schlicht mit dem bereits eingespielten Partner trainieren. Auf dieser Stufe ist es also die Aufgabe des Schülers die Technik auch abseits des gezeigten "Standards" anwenden zu können. Und tatsächlich ist es diese Stufe, ab der von einer Anwendung gesprochen werden kann. Das vorangegangene Level war vielmehr nötig um die Erfahrung zu sammeln und letztlich die Anwendung einer Technik zu ermöglichen.  Auch dieses Level muss sowohl durch Uke, als auch durch Tori umgesetzt werden.

Betrachten wir beispielsweise eine Technik der Kihon Happô, die Ichimonji No Kata. Beide Trainingspartner starten aus der gleichen Ausgangskamae, Ichimonji No Kamae. Der Angriff von Uke wird durch Tori mit einem Kohô Naname Tai Sabaki beantwortet und mit Jôdan Uke gekontert. Tori schließt den Bewegungsablauf dann mit einem Omote Shutô zum Hals ab. 

Um diese Basisform aufzubrechen sind zahlreiche Möglichkeiten denkbar.

  1. Beide Trainingspartner starten nicht aus Ichimonji No Kamae, sondern verschiedenen anderen Kamae. Auch unterschiedliche Kamae sind für Uke und Tori denkbar.
  2. Tori beginnt die Kata nicht nach dem ersten Angriff, sondern führt Ichimonji No Kata erst nach dem 2., 3. oder 4. Angriff aus.
  3. Uke greift auf Punkt 2 basierend nicht nur mit Faustschlägen (Jôdan Tsuki) an, sondern baut auch Tritte oder andere Schlagarten ein.
  4. Tori beendet die Kata nicht nach dem Omote Shutô, sondern ergänzt den Abschluss um eine andere Technik der Kihon Happô, z.B. Omote Gyaku.
  5. Tori führt die Kata mit dem Gefühl eines der 5-Elemente aus.

All diese Beispiele können bereits als Henka der ursprünglichen Basisform betrachtet werden, sind jedoch nur als Möglichkeiten zu sehen, die beliebig erweitert bzw. ergänzt werden können.

 

Wir erforschen also auf dem Ha-Level die erlernte Grundform und erkennen dabei ihre Essenz. Die Anfänge und die Grenzen der Technik werden für den Schüler ersichtlich und ermöglichen es ihm die Technik nicht mehr als einfache Bewegungsabfolge zu sehen, sondern vielmehr als Prinzip, mit dem ein Ziel erreicht werden kann. Der Weg zu diesem Ziel kann dabei schnell, gemächlich, umständlich oder sehr einfach erreicht werden. Genauso wie unser Weg zum Dôjô beispielsweise mit dem Auto besonders komfortabel genommen werden kann, sind auch diverse andere Optionen denkbar diesen Weg zu beschreiten; ob in einer Fahrgemeinschaft, dem öffentlichen Nahverkehr, auf dem Fahrrad, zu Fuß oder aufgestützt auf einen guten Freund. Wir erkennen auf dem Ha-Level die verschiedensten Möglichkeiten, die in einer Technik verborgen sind. 

 

Das nach Erreichen dieses Verständnisses folgende Ri-Level soll jedoch in einem folgenden Artikel bearbeitet werden.

 

Ganbatte Buyû (Keep going warrior friends)

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